(20.10.2013)
Der neue Spitzenwert der Bahnindustrie bei den Auftragseingängen beläuft sich auf 8,7 Milliarden Euro. Er sichert den Bahntechnikherstellern in den ersten sechs Monaten des Jahres dank neu gewonnener nationaler und internationaler Großaufträge gut gefüllte Auftragsbücher. Das Auftragsplus fällt mit über 47 Prozent zum Vorjahreszeitraum unerwartet deutlich aus. Von der künftigen Bundesregierung erwartet die Bahnindustrie einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schieneninfrastruktur in Deutschland. Der Überalterung der Schienenwege könne nur durch eine deutliche Aufstockung der Finanzmittel, insbesondere für Ersatzinvestitionen, begegnet werden, erklärten die Spitzenvertreter des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) e. V. heute auf der Halbjahrespressekonferenz der Branche in Berlin. Die Branche dringt weiter auf die rasche Umsetzung eines Gesetzgebungsverfahrens, um die Ende Juni 2013 angestoßene Reform des Zulassungswesens für Bahntechnik vollständig wirksam werden zu lassen.
„Die wirtschaftliche Lage der Bahnindustrie in Deutschland hat sich im ersten Halbjahr 2013, gemessen an den Auftragseingängen, spürbar erholt“, erklärte VDB-Präsident Michael Clausecker. „Das ist erfreulich und wird für eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage in der Bahnindustrie sorgen.“ Clausecker ist zuversichtlich, dass sich die aktuelle Umsatzdelle durch den baldigen Abschluss bislang verzögerter Projekte in naher Zukunft kompensieren lässt. „Die Beschäftigung in der Bahnindustrie hat sich dank eines soliden Auftragsbestands weiter erfreulich entwickelt. Sie hat im ersten Halbjahr 2013 mit insgesamt 50.400 Mitarbeitern leicht um rund anderthalb Prozent zugenommen“, erklärte der VDB-Präsident.
Großaufträge sorgen für Erholung der Bahnindustrie
Zum Erholungskurs der Bahnindustrie trugen in den vergangenen Monaten auch zwei Großprojekte für Züge und Lokomotiven bei, die Zughersteller aus Deutschland gewinnen konnten. Hierbei handelt es sich um einen Rahmenvertrag der Deutschen Bahn über insgesamt 450 Lokomotiven, von denen das Unternehmen zunächst 130 Fahrzeuge zum Preis von 430 Millionen Euro fest bestellt hat. Der zweite Großauftrag, der in die aktuelle Halbjahresbilanz Eingang gefunden hat, ist das Thameslink-Projekt in Großbritannien, bei dem 1.140 Regionalzugwagen für 1,8 Milliarden Euro bestellt worden sind. Die zwei Großaufträge haben zusammen betrachtet einen Bestellwert in Höhe von rund 2,3 Milliarden Euro. Entsprechend kräftig stiegen im ersten Halbjahr die Auftragseingänge der Bahnindustrie für Schienenfahrzeuge, um über 64 Prozent auf 7,4 Milliarden Euro. Dagegen wirft der Umsatz mit Schienenfahrzeugen einen Schatten auf die Bilanz der Bahntechnikhersteller: Die Lieferungen und Umsätze mit Zügen, Lokomotiven und deren Komponenten ging insgesamt um rund 22 Prozent auf 3,1 Milliarden Euro zurück, im Ausland sogar um über ein Drittel auf nur noch 1,4 Milliarden Euro.
Investitionsstau bei Infrastrukturausrüstungen hat bedrohliche Ausmaße angenommen
„Hinter den Erwartungen zurück blieb auch die wirtschaftliche Situation bei Infrastrukturausrüstungen“, sagte Clausecker. „Das Geschäft in diesem Segment stagniert auf ganzer Linie.“ Der Umsatz erreichte insgesamt 1,3 Milliarden Euro. Ohne Bewegung zeigte sich sowohl das Geschäft im In- als auch im Ausland. Schlimmer noch: die Bestellungen für Infrastrukturausrüstungen waren sogar rückläufig. Sie sanken insgesamt leicht um rund sieben Prozent auf 1,3 Milliarden Euro.
Politisch drängt die Bahnindustrie auf die schnellstmögliche Umsetzung eines Gesetzgebungsverfahrens, dass die kürzlich angestoßene Reform des Zulassungswesens für Züge und Lokomotiven in Deutschland verbindlich festschreibt. Clausecker: „Die jetzt geltende Übergangsregelung wird hoffentlich etwas Erleichterung bringen, darf aber nicht zum Dauerzustand werden. Hier ist die Politik gefordert, damit die vereinbarten Reformschritte schnell Gesetzeskraft erlangen.“
Besorgt zeigt sich die Bahnindustrie über die seit Jahren andauernde und immer größer werdende Unterfinanzierung der Schieneninfrastruktur in Deutschland. „Der anhaltende Investitionsstau hat inzwischen bedrohliche Ausmaße angenommen“, erklärte VDB-Hauptgeschäftsführer Ronald Pörner. „Dies schlägt sich immer mehr auch durch ausbleibende Aufträge negativ in den Büchern unserer Mitgliedsunternehmen nieder. Besonders leidet das Geschäft mit Stellwerken und den dazugehörigen Außenkomponenten wie Signalen oder Bahnübergängen.“ Der VDB fordert deshalb, dass im Jahr 2014 ein Sonderinvestitionsprogramm „Elektronische Stellwerke“ aufgelegt wird, um so der drastischen Überalterung vieler Stellwerke in Deutschland wirksam begegnen zu können. Das Programm sollte über zehn Jahre mit jährlich mindestens 600 Millionen Euro ausgestattet sein.
Sorgen bereitet der Bahnindustrie das Fehlen von rund 1.500 Ingenieuren für ihren Personalaufbau, insbesondere in den Fachrichtungen Maschinenbau, Elektrotechnik, Wirtschaftsingenieurwesen und Verkehrstechnik. „Die Branche hat deshalb eine Nachwuchskräfte- und Imagekampagne aufgelegt, die im nächsten Monat bundesweit anlaufen wird“, erklärte Pörner. „Die zentralen Orte, um auf die Bahntechnikhersteller als zukunftsweisende Arbeitgeber hinzuweisen, werden das Internet, Social-Media-Kanäle und bedeutende Hochschulstandorte für Ingenieure sein.“ Mit der Kampagne will die Bahnindustrie auf sich aufmerksam machen, ihr Image als attraktiver Arbeitgeber schärfen und sowohl Studierende als auch Absolventen der Ingenieurwissenschaften für sich gewinnen.